sounds of love and hate | rückblick vom 27. dezember

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Im Schoß der Jugend

Am Ende da finden wir unseren Frieden. Ganz sicher. Irgendwann. Irgendwann sind wir endlich erwachsen.
Ich stehe vor diesem 5000 km hohen Berg. Mindestens. Und ich habe Angst. Die wabernden Gedanken in meinem Kopf versuchen meine wabernden Knie zu beruhigen. Seltsamerweise klappt das nie. Mein Herz schlägt wie wild. Und eine LKW-Ladung Hormone schießen durch meinen Körper. Ich blicke diesem Berg hinauf und versteh, was Sie meinen, wenn sie sagen: „Das wird kein leichter Aufstieg“. Der Berg heißt Jugend. Und weiß Gott, sie haben redlich untertrieben.
Es dauert ein paar Jahre bis ich den Gipfel erreicht habe. Scheinbar. Auf dem Weg dahin hat sich so mancher Stein unter meinen Füßen gelöst. Manch einer hat anderen am Kopf getroffen. Wir hatten viel Zeit über alles nachzudenken, uns zu finden, mal falsch zu gehen. Manche sind wieder hinab gestiegen. Wir haben sie etwas belächelt. Oben angekommen lege ich mich in den Schoß der Jugend. Er ist weich und warm. Ich reibe meinen Kopf an ihre Oberschenkel. Die Jugend streicht mit ihren langen Fingern durch mein Haar. Es ziebt etwas. Die Jugend passt auf mich auf. Ich wünschte, ich könnte für immer dort bleiben. Die Aussicht genießen. Mit den Leuten, die mich begleitet haben, ein Dorf bauen. Sturmfest und erdverwachsen. Ich bin volljährig. In jedem Land meiner Träume. Aber was bedeutet das schon? Ich bin weder voll von Eindrücken, Leben, Liebe noch jähre ich mich. Eher drücke ich mich. Vor Entscheidungen, vorm Loslassen, von teuren Möbeln „für die Zukunft“. Lieber drücke ich meinen Kopf weiterhin in den Schoß der Jugend. Verschließe die Augen vor allem. Sehe nicht hinab. Was geht es mich auch an? Die Welt da draußen mit ihren Problemen und Enden und Kriegen. Was soll ich mit Zukunft, wenn es doch nie kommt, wie man will. Ich bin Pessimist geworden. Lieber schau ich weg. Aber das Leben. Ja das Leben hat andere Pläne mit mir.

Ich schrecke auf, als es unter mir zu beben beginnt. Was zur Hölle passiert hier? Kleine Steinchen rollen neben mir den Berg hinab. Zwangsläufig schaue ich doch hinunter. Scheiße, ist das hoch. Der Berg trägt sich Stück für Stück unter meinen Füßen ab. Und bringt mich mit jeder Schicht ein Stück weiter zur Erde. „Hey! Stopp. Da oben. Da oben sind Leute, die ich brauche. Freunde, weißt du? Damals, damals haben wir „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusamm‘“ gesungen. Das bedeutet doch was! Die kannst du mir nicht nehmen.“ Doch irgendwie schafft es das Leben sich durchzusetzen. Und ich. Ich stehe mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen. Und steh alleine da. Meine ehemaligen Freunde schauen von oben auf mich herab. „Ach die hat es sich aber leicht gemacht! Einfach abzuhauen.“ Ihre Worten hallen wie ein Echo in meinem Kopf. (einfach, einfach, einfach) „Hey! Das, das hier war keine Absicht! Warum seid ihr nicht mit gekommen? Was kann ich denn dafür! Das ist ganz sicherlich nicht einfach!“, schreie ich zurück, aber es kommt niemals oben an. Ich glaube, von da oben erkennen sie mich gar nicht mehr wirklich. Wir haben uns aus den Augen verloren. Mit Radau. So ein Berg macht verdammt viel Lärm.

Es folgt ein Moment des Innehaltens. Ich schmeiße mich auf den Boden. Schreie mir die Seele aus dem Leib. Das ist doch nicht fair. Ich hatte doch Pläne. Ich wollte doch nur, dass alles gut wird. Ich versuche wieder hochzukrakseln, aber ich schaffe es nicht. Statt warm und weich ist die Jugend glitschig geworden. Sie stößt mich ab.  Was ist passiert auf dem Weg von „für immer“ zu „nie wieder“?

Ob ich eine Antwort gefunden habe, fragst du mich. Nein, nicht wirklich. Aber ob ich es bereue? Das jahrelange aufwärts laufen. Das Schleppen von Erinnerungen, Menschen, Liebe. Nein. Denn es war nicht umsonst. Aber jetzt, jetzt muss ich loslassen. Vom alten Berg. Vom sicheren Schoß. Von alten Bekannten. Wir sind einfach zu weit voneinander entfernt. Loslassen. Loslassen hat nichts mit Schwäche zutun. Loslassen bedeutet stark zu sein. Und irgendwann finden wir unseren Frieden. Ganz sicher. Irgendwann, irgendwann sind wir endlich erwachsen.



Diesen & einen weiteren Text habe ich auf der Lesung "Sound of Love and Hate" vorgelesen, die am 27. Dezember 2014 im Peiner Forum stattfand. Es war ein wundervoller Abend mit so unglaublich viel Kreativität und Liebe für Musik & Text, das ich mich wahrscheinlich davon ein ganzes Jahr nähren kann. Ich bin froh ein Teil davon gewesen zu sein.


1 Kommentar:

  1. Erstmal: Vielen lieben Dank!! :) Bristol ist wirklich toll!
    Und wahnsinnig guter Text! Gefällt mir. :)

    P.S: Ich bin aus Schweinfurt - nähe Würzburg! :D

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